Mittwoch, 13. Juni 1883

13/6 Mittwoch Nm.― Was nützen oder was sollen alle theoretischen Auseinandersetzungen mit sich selbst. Ich will mich ― oder besser: ich muss mich doch wieder hersetzen und schreiben. Werde wieder das „moderne Jugendleben“ hernehmen.―

Und die Medicin? Immer die alte Geschichte! Ich fühle mich ihr noch immer ― gerade heraus gesagt ― fremd. Ich studiere bereits seit vielen Wochen wieder gar nichts ― Habe eigentlich die Zeit ganz platt zugebracht. Nennen wirs die Rennsaison. Ich liess keins von den Sommerrennen aus, war stets mit viel Interesse dabei und wettete bald mit weniger, bald mit mehr Glück, so daß ich auf meine Finanzen bald himmelhoch jauchzend, bald zu Tode betrübt sehn konnte. Momentan das letztere. Auch die Vormittage verbrachte, ja verbringe ich möglichst blöd ― mit Zeitungslesen und Billardspiel ― ich möchte mich selbst ohrfeigen.

― Im Garnisonsspital bin ich auf der IV. Abtheilung, alles militärische langweilt mich, ja widert mich öfters an.―

Von einem intimen Verkehr kann ich kaum reden. Recht freundschaftlich verkehr’ ich mit Richard T., auch brachten mich die Umstände oft mit Louis M. und Petschek zusammen. Ja ― und was ist aus all den alten Freunden geworden. Es ist der Mühe werth, sichs zu überdenken. Eugen ― weiss Gott wo? In Amerika wahrscheinlich ― erhielt seit Monaten keine Nachricht von ihm. Auch der Herr Rechnungsfeldwebel Adolf W., der in Bosnien weilt, läßt seit lange nichts von sich hören. Jacques lebt dumm und leichtsinnig weiter, bildet sich ein, Mediciner zu sein und kommt nicht fort. Karl Z. ist, glaub ich, Kellner in New York. Emil W. ist an irgend einer kleinen Station Eisenbahnbeamter, wofern’ ich nicht irre.― Richard H. kam im Mai aus Meran, wo er mit einer nicht mehr jungen geschiedenen Frau einen Liebesroman durchlebte, an und ist bereits wieder in Aussee. Otto G. brachte auch den ganzen Winter in Dornbach zu. Fritz K. läuft in Samtrock und fliegender Cravate herum und „weint“ (metaphorisch) einem platonischen Verhältnis mit einer hübschen amerikanischen Strohwitwe nach.

Und so weiter. Und die Mädchen ―? Von Else hör, ich nichts ― das letzte Mal, als ich sie bei M.s sah, reichte ich ihr ein brennendes Zündhölzchen, mit dem ich mir eine Cigarre angezündet hatte, und sagte großartig: „Löschen Sie aus, mein Fräulein, Sie haben ja so viel Talent dazu.“ Sie drückte mir die Hand und machte große, gerührte Augen, während ich beinahe lachen mußte.― Von Aennchen weiss ich nichts ― auch Therese entschwand vollkommen. Gestern sprach ich nach langer Zeit wieder Fännchen. Ein sonderbares Wesen! Sollte man glauben, daß sie mich gestern wieder in nicht eben leicht zu mißdeutenden Worten ihrer unvergänglichen Liebe versicherte?…