Donnerstag, 22. Jänner 1880

22/1 Donnerstag Abends. Vormittag mit ihr, Abends desgleichen. Unter lebhaftem Gespräch, untermischt mit leidenschaftlichen Küssen gingen wir im Quaipark hin und her ― nahmen x Mal Abschied, wobei wir uns wieder so oft als möglich küssten ― küssten uns dann unterm Hausthor ― und in meinen Adern rast das aufgeregte Blut ― obwohl es durch das ruhige Pathos, mit dem Eugen heute beim Nachtmahl die 2 ersten Akte der Zenobia meinen Eltern vorlas, sich ein wenig hätte beruhigen sollen. Ja, es rast und je öfter, je glühender ich sie küsse, desto mehr. Es sind immer so reizende Momente an den Abenden ― Sie fühlt sich durch irgend ein Wort gekränkt ― ich fall, ihr um den Hals und küss’ sie auf den Mund, bis sie versöhnt lächelt. Dann küsst’ ich sie einige Mal sehr weich auf die Lippen. Das fand sie zu kalt.― Ich sagte drauf; sie solle mir zeigen, wie sie das Küssen am liebsten hätte. Nun umschlang sie mit einem Arm meinen Nacken und küsste mich lang und feurig. Die Pointe von der Geschichte ist aber die, daß sie anfänglich darüber sprach, daß man ja nicht eigentlich nur um des sinnlichen Genusses willen liebe ― und nicht wegen der Küsse würde sie z. B. ihre Freundschaft mit Fany M. aufgeben, wenn ihr zwischen dieser und mir die Wahl gelassen würde. Wir kamen über diesen Stoff so in Eifer, daß wir bald die Theorie Theorie sein ließen und uns lieber mit der Praxis beschäftigten. Zum Schlusse sagte sie: daraus, daß ichs anfänglich ernst genommen, als sie nicht glühend genug übers Küssen gesprochen, sehe sie, daß ich sie nicht genug liebe.― Reizend ists, wie sie auf alles eifersüchtig ist. Ich glaube, bei allen verliebten ists so, daß ihnen jedes Wort zu wenig sagt: Man ist immer mit dem oder der Geliebten unzufrieden, nicht nur mit sich selbst ― obwohl man das eigne Unrecht einsieht. Fanny treibts darin gar arg. Und das ist eben reizend. Sie ist ein süßes Wesen ― und diese Lippen. Leider wirds immer lichter, und die Zeit ist nicht mehr fern, ― ich sprech’s lieber gar nicht aus! Ich sollte ihre Küsse entbehren ― Unmöglich!