Mittwoch, 31. Dezember 1879

31/12 Mittwoch Vorm. Zwischen mir und Fanny kam gestern die Rede auf den Brief, den sie mir nach Amsterdam schrieb. Ich sagte, er sei kühl gewesen. Sie erwiderte, so wie sie mir schreiben wolle, könne sie mir eigentlich gar nicht schreiben, in ihrem Tagebuche stehen Worte über mich, die sie mir gar nicht wiederholen könne: „so angenehm für dich“. Und dann, als ich davon sprach, daß einmal eine weniger schöne Zeit kommen werde: „Ich bin so glücklich, wenn ich an deiner Seite gehe, daß ich an gar nichts anderes denke.“ ―

Ich will einen Blick auf das hinschwindende Jahr werfen. Es war ein Jahr des Sturms und Drangs und wird wohl lang nicht das letzte gewesen sein. Innre Conflicte, die zum Theil im Aegidius ihren poetischen Ausdruck gefunden, haben meine geistige Richtung zu einer mehr und mehr pessimistischen ausgebildet ― ebenso gewisse äußere Conflicte nach manchen Seiten hin, die wohl auch in der unaufhörlichen Zerfahrenheit ihren Grund hatten. Es war ein Jahr der Zerfahrenheit ― des Widerspruchs ― Nüchternheit, Langeweile, Ideal, Aufregung ― sie waren da und waren nicht da; ich konnte mich fast nie ganz wohl fühlen, und es ist mir in diesem Moment noch immer so, wie es mir im allgemeinen die ganze Zeit über war…―

… Doch gabs Momente, leider nur Momente des Glücks. Das Jahr begann kalt für mein Herz, im Frühjahr ward’s anders. Zuerst die Schwärmerei für Hermine, dann die sonderbare Hinneigung zu Emilie ― im Sommer die Doppelliebe, das Schwanken zwischen Mathilde und Fanny, endlich die Leidenschaft für die, deren ich auch jetzt,in der Sylvesternacht in glühender Liebe gedenke, für Fanny. Und die süßen Augenblicke, in denen unsre Lippen sich selig aneinanderschließen ― das sind Momente des Glücks…

… Ich will von nichts andrem mehr reden, nachdem ich am Ende des Jahres ihrer gedacht. Glück fürs neue Jahr, du liebstes von allen Wesen, die auf Erden leben, in Gedanken küss’ ich dich auf deine engelsüßen Lippen, und will von dir träumen, die ich dich doch in der letzten Stunde des Jahrs nicht in meinen Armen halten, an deinem Busen nicht die süßeste Sylvesternacht feiern darf, die je ein Mensch gefeiert.― ―

1880