28/4 Mittwoch Nm.― Einige Ideen, die vielleicht nur die Bedeutung
von Studien für den Alexander haben mögen, beschäftigen mich. Es
ist merkwürdig ― so oft ich mich hinsetze, den Plan zu einem Drama
oder einer Novelle zu formuliren, steckt die Gestalt des Socialismus
ihr Haupt hervor. Das ist nun einmal eine Frage, die mich nicht ruhen
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lässt, eben weil die Beantwortung so trostlos ist, und weil man von
einer Frage in eine andre, ja ich möchte sagen, vom Glück des einen
ins Unglück des andern getrieben wird und so die Lösung unmöglich
bleibt. Blasen quellen auf und sinken zusammen ― aber es baut sich
nichts auf aus diesen Blasen! ―
― Die Anschauung der Materialisten wird mir zu meinem eigenen
Leidwesen immer plausibler, wahrscheinlicher. Hyrtl polemisirt (bei
Gelegenheit der Anatomie des Gehirns) dagegen. Mich dünkt, es wird
eine Zeit kommen, wo man einsehen wird, daß es, was den subj. Theil
unsrer Vorstellungen anlangt, kurz was das Bewußtsein anbelangt,
nichts gibt als die Zellen und ihre Anordnung. Wenn diese Zeit nie
kommen wird, so wird die Schuld daran liegen, daß sich das Mikroskop
nicht weiter vervollkommnen kann. Freilich ― dahin wird man nie
gelangen, daß man die Frage lösen wird: Wie kommt es, daß bei der
und der Gestalt der Zelle, bei der und der Anordnung der einzelnen
Zellen das betreffende Individuum viel Phantasie besitzt ―? oder
viel Gedächtnis ―? Man kann höchstens dahin gelangen zu sagen:
Wenn das Gehirn so gebildet ist, ist der Mensch ein Dichter. Ist diese
Zelle rundlich, so wendet sich sein Geist mehr der That zu. Schließen
jene zwei ellipsoiden Zellen eng an einander, so hat er Talent zur
Malerei.― Das mag vielleicht einmal möglich sein. Aber weiter ―? Nie,
nie! Vielleicht wird man sogar durch äußere mechanische Einflüsse
die Geistesrichtung eines Individuums ändern können.― Ich bin nahe
bei einer Frage, die ich schon vor anderthalb Jahren discutirt habe ―
über die Eindrücke als Bildnerinnen des Charakters (Sept. 78).
Liegt schon im Moment des Coitus ein gestaltender Einfluss vor? Ist
vielleicht die Geistesrichtung eines Indiv. schon von der Art und Weise
abhängig, wie das Sperma in den Mutterleib gelangt? Ob langsam, ob
schnell? Ob in einem Momente, wo einer oder beide Erzeuger sich
geistig und leiblich so oder so befinden ―? Ich bin immer zu solchen
Fragen gedrängt und gäb’ was drum, wenn sie mich nicht bedrängten
― denn die Resultatlosigkeit ist ja voraussichtlich, die Verstimmung
natürlich, die Unbefriedigung stetig.―
Abd.― Patriotismus ist eigentlich nur Bescheidenheit. Der Mensch
sieht in lobenswerther Resignation ein, daß von einem allgemeinen
Glück der Menschheit nicht die Rede sein kann. So beschränkt er sich
denn darauf, einen kleinen Kreis zu lieben, in einem kleinen Kreise
gutes zu wirken. Es ist nur beklagensweth, daß ein Patriotismus dem
andern auf die Hühneraugen tritt und die Leute ihr ganzes Quantum
Liebe auf einem Flecke verausgaben. So sind die Nationalitätenschwärmer
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wie Kinder, die auf den Jahrmarkt kommen und auf ein Ding, das ihnen
schön dünkt ihr ganzes Geld, ihr ganzes Quantum Liebe! ausgeben ―
Kosmopolitiker aber sind auch wie Kinder, sie kaufen alles und alles
― und sind dann enttäuscht.― Meine kosmopol. Ideale sind nebelhafter,
meine Schwärmerei kühler geworden. Denn es gibt viele Nationen, die
man beim besten Willen nicht lieben kann, und es kann höchstens Aufgabe
des Kosmopolitikers sein, die Nationen liebenswerther zu machen. Was
aber thun, wenn sich diese Völker sträuben, wie kleine Bübchen, die
sich nun einmal nicht wollen waschen lassen? es sei denn, daß man ihnen
mit der Ruthe droht! Also ist der Krieg eine Nothwendigkeit? Fast scheint
es so! Traurig aber ist es, daß immer, so lang die Welt steht, ein
Nachwuchs der schlechten Elemente hervorwuchern, und schließlich der
Krieg, mit vorurtheilslosem Blicke betrachtet, nutzlos gewesen sein wird.
Jene andre Art des Krieges ― um mehr zu besitzen ― jene Art eingehender
Betrachtung zu unterziehen, widerstrebt mir. Die sog. polit. Notwendigkeit
ist actenmäßig systemisirte Habsucht und Betrug. Am allermeisten
wird das eigne Volk betrogen ― um sein Blut, seine Söhne, sein Glück.
Aller Militarismus ist mir in tiefinnerster Seele zuwider. Die dritte Art
des Kriegs, die Revolution ― aber ich bin nun wieder bei der social.
Frage angelangt, bei dieser unsterblichen Schlange, die sich um den
eignen Leib unzählige Male windet ― und giftig ist. Revol. wirds
geben, so lang Denken und Fühlen sich nicht verträgt, d. h. solange
es Menschen gibt. Mir legt sichs immer schwer auf die Brust, wenn ich
an diese Räthsel mich wage, das ist der Gifthauch der Schlange. „Ein
Idealstaat wa"re möglich, wenn Menschen Maschinen oder Götter w"ren.“ ―
Eines reißt den Menschen heraus aus dem trostlosen Gewirre: die Kunst.
Aber es gibt Momente, wo er an der Seite dieser holden nicht weilen kann;
dann mag er in den Taumel stürzen und Rausch suchen, da er Befriedigung
nicht finden kann.― Und die Liebe…? Wie aber, wenn nichts von alldem
dem Denker zu Gebote steht? Dann sucht er wohl in einen andern Kreis
von heitern Gedanken zu kommen, aber er ist festgebannt und vermag der
verdammten Logik nicht zu entfliehen, die ihm Schritt für Schritt
beweist: Alles ist schlecht! ― und jede Veränderung, die nach der
Organisation der Species Mensch, möglich ist, würde zu noch schlechterem
führen ―
― Fanny, Fanny!